Wachgeküsst und neu belebt

Es war eine Industriebrache. 40’000 Quadratmeter gross. Ein ehemaliges Aluminiumwerk, Ende der 1990er-Jahre vom Konkurs überrollt. Ein verschachteltes Konstrukt, Werkstätten, Produktionsflächen, Büros, Lagerräume. Die einzelnen Gebäude scheinbar aus dem Augenblick hochgezogen, mit weitgehend ungepflegter, schlechter Bausubstanz. Eine schlummernde Insel im Industriequartier Münchenstein. Öd. Die Melancholie des Nutzlosen.

Doch dann kam die Wende. In den letzten gut zehn Jahren sind mehr als 50 neue Mieter eingezogen. Aus allen nur denkbaren Branchen, vom Einmannbetrieb bis zum Grosshandel. Autoreparaturen und Meditationszentren, eine logopädische Praxis und eine Reinigungsfirma, ein Fotoatelier und ein Fitnesscenter, ein Schlüsselservice und ein Architekturbüro, und, und, und. Eine quirlige Vielfalt, sichtbar in der Kreativität der Areal- und Fassadengestaltung. Jedes Unternehmen mit seinen individuellen Ansprüchen.

Individuelle Ansprüche: Die logopädische Praxis benötigt weniger Strom als die Autowerkstatt. Im Fitnesscenter wird warm geduscht, nicht zu knapp; im Fotoatelier ist das kein Thema. Im Meditationsraum erwarten die Menschen wohlig warme Temperaturen; die Besucher des Fitnesscenters haben andere Ansprüche. Ursprünglich sorgten fünf Ölheizungen und ein Gaskessel für angenehme Wärme im Aluminiumwerk. «Alles war damals in schlechtem Zustand», erinnert sich Andreas Appenzeller. Das Energiekonzept im «Walzwerk Münchenstein» – so der neue Name – fällt in seine Verantwortung.

Andreas Appenzeller leitet die ADEV, eine Energiegenossenschaft. 1985 gegründet, setzt sie sich für erneuerbare Energien ein: Windkraft, Solaranlagen, Wasserkraft, Biomasse und Blockheizkraftwerke. Die ADEV tritt als Bauherrin auf und plant, finanziert, erstellt und betreibt solche Anlagen. Aktuell hat sie mehr als hundert Anlagen in der Nordwestschweiz, den Kantonen Bern und Zürich sowie im angrenzenden Ausland.

Die ADEV strebt einen demokratischen Energiemarkt an. Weg von Riesenanlagen in der Hand einiger weniger Grossfirmen, hin zu einer genossenschaftlich organisierten, kleinzelligen Energiewirtschaft.

Der gelbe Riese
Eine steile Treppe führt ins Kellergeschoss des «Walzwerks». «Ich war schon eine ganze Weile nicht mehr hier», sagt Appenzeller. Schliesslich gelingt es ihm doch, die Türe zu öffnen. Wir stehen vor einem leuchtend gelb lackierten Blockheizkraftwerk (BHKW) von der Grösse eines Kleintransporters. «Ursprünglich überlegten wir, ob wir ein Occasions-Blockheizkraftwerk anschaffen sollten. Es wurde damals von einer Kläranlage ausgemustert. Wir mussten aber anders entscheiden aufgrund der Wirtschaftlichkeit und kauften  ein neues.»

Das Blockheizkraftwerk nutzt Erdgas als Brennstoff; das Areal war bereits an das Erdgasnetz angeschlossen. Der Wirkungsgrad dieser Anlage beträgt über 90 Prozent pro Jahr. Im Vergleich dazu haben Kernkraftwerke einen Wirkungsgrad von ungefähr 35 Prozent. Um die 65 Prozent verpuffen sie in die Luft oder leiten sie über Kühlwassersysteme den Gewässern zu. Also: weniger Gasverbrauch und weniger Schadstoffe als bei herkömmlichen Heizungen. Für Appenzeller ist klar: «Die Effizienzsteigerung ist der wichtigste Schritt für den Klimaschutz. – Ohne Atomstrom!»

Das Blockheizkraftwerk im «Walzwerk Münchenstein»

Ein Blick ins Innere des Blockheizkraftwerks
Andreas Appenzeller, Vorsitzender der Geschäftsleitung ADEV

Die Heizzentrale im «Walzwerk»: rechts das gelbe Blockheizkraftwerk, links die beiden Gaskessel

Sichtbare Lebendigkeit statt öder Industriebrache
Sichtbare Lebendigkeit statt öder Industriebrache

Das Investitionsvolumen betrug 1.1 Mio. Franken. 2008 von der Schweizer Firma AVESCO gebaut, liefert das Blockheizkraftwerk gleichzeitig Strom (Jahresleistung 727 MWh) und Wärme (Jahresleistung 1570 MWh).  Zum Vergleich: Ein Privathaushalt mit zwei Personen verbraucht etwa 15 MWh Wärme und 3-4 MWh Strom pro Jahr. Das im «Walzwerk Münchenstein» eingebaute Blockheizkraftwerk könnte also rund 100 Haushalte mit Wärme und Strom beliefern. Zusammen mit einem Gaskessel versorgt es das ganze Areal mit ausreichend Wärme und Strom. Für Notfälle steht noch ein zweiter, bereits in die Jahre gekommener Gaskessel bereit.

Angenehm warm
Andreas Appenzeller ist zufrieden: «Wir reagieren sehr flexibel auf die Bedürfnisse der einzelnen Mieter. Dem Fotoatelier und dem Architekturbüro stellen wir genügend Wärme zur Verfügung; die Reinigungsfirma benötigt reichlich Strom. Das Konzept bewährt sich.» Das Problem Heizung/Stromproduktion ist also gelöst. «Die Aufmerksamkeit des Arealbetreibers gilt gegenwärtig der besseren Isolation der zum Teil schon ziemlich alten Gebäude. Damit liesse sich die Heizleistung weiter optimieren.»

Der Verein für Sozialpsychiatrie Baselland betreibt im «Walzwerk» eine Kantine. Wir stillen den Durst. Draussen herrscht Schmuddelwetter. Drinnen ist es angenehm warm.

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2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von EnergischJo am 28. Januar 2017 um 11:21

    Guten Tag!

    Danke für den informativen Artikel! Mir geht es so wie vielen anderen Lesern auch: Ich denke mir beim durchlesen: „Super, das gefällt mir, ich melde mich mal beim Verfasser und danke ihm.“ Und dann ist
    Abend, ich bin müde und blase meinen Vorsatz ab….
    Daher hier und jetzt: DANKE!
    (stellvertetend für die zahllosen nicht realisierten Vorsätze ;o) )

    Bleiben Sie aktiv!



  2. Veröffentlicht von Peter Belart am 30. Januar 2017 um 17:20

    Hallo «EnergischJo»
    Dein Kommentar hat mich sehr gefreut. Solche Rückmeldungen ermutigen und motivieren mich, weiterhin aktiv zu bleiben.
    Peter Belart