«Le ton qui fait la musique»

Es war schon eine Weile her, seit ich meinen Kollegen Paul das letzte Mal gesehen hatte, wahrscheinlich bei der Maturafeier vor etwa zehn Jahren. Er hatte dort in einer Schülerband die E-Gitarre gespielt, nicht schlecht, aber auch nicht hervorragend. Jedenfalls war er mir nicht als herausragendes Talent in Erinnerung geblieben. Die Band spielte vor allem laut, Pauls Soli waren kaum herauszuhören und er versteckte sich hinter dem Keyboard. Damals spielte er mit herabfallenden Schultern und steinerner Miene.

Nun traf ich ihn neulich zufällig in einem Musikkeller. Zuerst hatte ich ihn gar nicht erkannt. Jedenfalls brachte ich den Sound, den ich dort hörte, und den selbstbewussten Musiker im vollen Scheinwerferlicht am Bühnenrand nicht mit dem schüchternen Jungen von damals in Zusammenhang. Da stand ein strahlender Profi auf der Bühne, der sein Publikum mitzureissen wusste. Jeder im Saal spürte seine Spielfreude und ging förmlich mit seinen Improvisationen mit.

Mein erstes Date

Schon beim ersten Ton horchte ich auf. Diese Gitarre hatte einen unerwartet weichen Klang, den ich nicht bei E-Gitarren erwartete. Die Band spielte Mozarts «Kleine Nachtmusik», die sie in eine Bluesballade umgearbeitet hatte. Gerade als ich mich ein kleines bisschen zu langweilen begann, weil der Überraschungseffekt allmählich verblasste, ging die Melodie ohne Pause in eine Rocksequenz über. Nun klang die Gitarre verzerrt und hart, fast dissonant und sehr rhythmisch. Pauls Bewegungen ähnelten nun denjenigen bekannter Rocklegenden. Schliesslich endete das Stück mit Country Rhythmen. Das Gitarrensolo bot dem Musiker Gelegenheit, seine Virtuosität zu beweisen. Das Publikum war begeistert.

Nach dem Auftritt sprach ich Paul an. «Hei, was ist denn mit dir passiert? Du strahlst so. Bist du verliebt?»
«Und wie. Es war Liebe auf den ersten Ton sozusagen.» Er grinste verschmitzt, als er mein fragendes Gesicht sah.
«Wie heisst denn deine Angebetete?»
«Jessy. Darf ich vorstellen?» Damit zeigte er mit einer ausladenden Geste auf die umgehängte Gitarre.
«Ach so», erwiderte ich ein wenig enttäuscht. «Ich dachte schon, du hättest eine neue Freundin.»
«Dies ist meine neue grosse Liebe. Dank ihr konnte ich meinen Traum zu meinem Beruf machen. Erinnerst du dich, wie immer alle sagten, dass ich von Musik nicht leben könne und erst ‘etwas Ordentliches’ lernen solle?»

Wenn ein Ton das Herz erobert

Nun erzählte mir Paul, wie er nach etlichen Jahren als mehr oder weniger erfolgloser Hobbymusiker auf einer Messe Jessy getroffen hatte. Ihn begeisterte einfach alles an diesem Instrument, nicht nur die Klangvielfalt, sondern auch das aussergewöhnliche Design der Gitarre. Wie eine akustische Gitarre hatte sie einen Hohlraum, der dem Ton eine einzigartige Resonanz verlieh. Die Deckblätter bestanden aus Nussbaumholz, während der Hals aus Ahorn und Bambus gefertigt war. Sogar ich war von dieser Eleganz begeistert, obwohl ich mich mit Instrumenten nicht auskenne.

«Seit ich mit Jessy zusammen bin, hat meine Karriere einen steilen Sprung nach oben gemacht. Ich spiele nicht nur mit dieser Band hier, sondern ich erhielt Einladungen von mehreren anderen Gruppen. Das Gute an Jessy ist, dass sie viel klarer klingt, sodass meine Passagen immer gut zu hören sind. So war ich neulich sogar Erster beim Schweizerischen Wettbewerb für Nachwuchsmusiker. Ich kann es noch immer kaum glauben.»

Wie um das Gehörte zu unterstreichen, trat der Besitzer des Clubs zu uns, um Paul um eine Zugabe zu bitten.