Für ihn ist die Welt stumm

Etwa 0.2 Prozent der Menschen weltweit sind hörbehindert. Einer davon ist Christian Hilfiker: 37 Jahre alt, Schweizer, Landschaftsgärtner bei Gartenbau Wyder in Oberentfelden. Ohne Hörgerät ist für ihn die Welt still, vollkommen still. Mit Hörgeräte hört er die Leute in seiner Nähe sprechen, aber verstehen kann er sie nicht. Hohe Töne hört er gar nicht. Er kann auch nicht orten, woher die Geräusche kommen. Hilfiker ist Mitglied des Kaders und nimmt an Kadersitzungen teil, wo es um Organisatorisches und grundsätzliche Fragen geht. Als Vorarbeiter ist er verantwortlich für den geregelten Ablauf auf der Baustelle.

Als Gehörloser stehen Sie vor andern beruflichen Schwierigkeiten als Ihre Arbeitskollegen.
Hilfiker: Schwierig wird es erst, wenn ich mit andern Menschen direkt kommuniziere. Wenn mein Handy läutet, nimmt einer meiner Mitarbeiter den Anruf entgegen. Im persönlichen Gespräch mit Kunden gelten die folgenden Regeln: Sie müssen mit mir schriftdeutsch, deutlich und langsam sprechen. Wenn sie mir ihr Gesicht zuwenden, kann ich von ihren Lippen ablesen. So ist es mir möglich, selber mit ihnen zu sprechen. Bei auftretenden Schwierigkeiten hilft mir mein Arbeitskollege beim Übersetzen.

Christian Hilfiker hat seine Berufslehre bei Gartenbau Wyder gemacht. Ergaben sich damals aufgrund seiner Gehörlosigkeit Probleme für Ihre Firma?
Christoph Wyder: Wir passten unsere Kommunikationsformen an, arbeiteten mehr visuell und stellten mit Nachfragen immer wieder sicher, ob er uns verstanden hatte. Für uns alle hatte dies positive Aspekte. Wir mussten vermehrt Rücksicht nehmen und uns ganz bewusst auf die gegebenen Möglichkeiten einstellen.

Wie sind Sie damals zu dieser Lehrstelle gekommen? Wären Sie nicht lieber Pilot oder Lokomotivführer geworden?
Hilfiker: Meine Mutter kannte Othmar Ebneter von Wyder Gartenbau. Er hat mich zum Schnuppern mitgenommen. Mir gefiel die Arbeit. Ich habe mich für den Beruf des Landschaftsgärtners entschieden, weil ich schon früher gerne im Garten gearbeitet habe. Meine Traumberufe waren zwar Lokführer oder Lastwagenchauffeur, aber da ist man auf das Gehör angewiesen, und so blieben mir diese Berufe versagt.

Der Schweizerische Gehörlosenbund schreibt: «Der Gehörlosenbund hat keine eigentliche Stellenvermittlerfunktion. Unsere Aufgabe ist es, einerseits die Arbeitgeber über gehörlose Angestellte und deren Möglichkeiten zu informieren; auf der anderen Seite unterstützen wir Gehörlose mit Informationen im Bereich Aus- und Weiterbildung. Für die konkrete Stellensuche sind die Beratungsstellen für Gehörlose in den Kantonen zuständig. Bis heute gibt es noch keine (Lehr-)Stellenbörse für Gehörlose; die Vermittlung ist sehr individuell.»

 

Denken Sie, dass Sie aufgrund Ihrer Beeinträchtigung einen andern Zugang zu Personen haben als andere Menschen?
Hilfiker: Ja, ich fühle mich anders. Das zu akzeptieren, ist nicht immer einfach. Wenn zum Beispiel viele Leute zusammen sind und alle durcheinander reden, kann ihnen nicht folgen, und ich fühle mich als Aussenseiter.

Sind Ihre andern Sinne besser ausgeprägt?
Hilfiker: Gehörlose haben einen sehr viel ausgeprägteren Gesichtssinn. Ich kann besser und mehr sehen als andere. Bei der Arbeit ist das von grossem Vorteil. Mir fällt zum Beispiel sofort auf, wenn Verbundsteine ungenau gesetzt wurden, so dass krumme Linien entstehen. Andere sehen da nicht so konzentriert hin.

Wie setzen Sie sich als Vorgesetzter durch?
Hilfiker: Das ist überhaupt kein Problem. Alle respektieren mich so wie ich bin. Ich muss nicht kämpfen, es gehört zur alltäglichen Normalität.

Wie verhalten sich die Kunden Ihnen gegenüber? Treffen Sie auf Verunsicherung, Sympathie oder Ablehnung?
Hilfiker: Es gibt alles. Üblicherweise spüre ich viel Verständnis. Auch schon waren Kunden geschockt. Sie wussten einfach nicht, wie sie mit Gehörlosen umgehen sollten. Sie wollten gar nicht versuchen, anders zu sprechen, schriftdeutsch und langsamer, als es ihren Gewohnheiten entspricht. Die Situation verwirrte und verunsicherte sie, und so nahmen sie Rücksprache mit unserem Büro oder wandten sich an einen Lehrling.

Wie erleben Sie das, Herr Wyder?
Wyder: Grundsätzlich begrüssen es unsere Kunden, dass Menschen mit einer Einschränkung in den Arbeitsprozess integriert sind. Sie geben sich entsprechend Mühe, ihren Teil zum Gelingen beizutragen. Manchmal gibt es Anlaufschwierigkeiten. Deshalb achten wir darauf, dass bei jedem Auftrag eine Zweitperson mitgeht, die nötigenfalls als Dolmetscher fungiert.

Inwiefern empfehlen Sie andern Gehörlosen Ihren Beruf?
Hilfiker: Der Beruf als Landschaftsgärtner bietet sich für gehörlose Menschen an. Bei der Arbeit muss man kaum kommunizieren. Allerdings gibt es Gehörlose, die sehr viel schlechter sprechen und verstehen als ich. Daraus ergeben sich fast zwingend Probleme im Kontakt mit Kunden.

Bitte beschreiben Sie Ihre emotionale Situation in einer Welt der Hörenden.
Hilfiker: Die gehörlose Welt ist mein Zuhause. Ich habe eine gehörlose Frau und gehörlose Kinder. Viele meiner Kollegen sind ebenfalls gehörlos. Während des Tages bin ich ausschliesslich mit Hörenden zusammen. Es ist sehr anstrengend, mit ihnen zu kommunizieren. Deshalb bin ich privat lieber mit Gehörlosen zusammen; mit ihnen kann ich mich in Gebärdensprache fliessend unterhalten. Da kann ich entspannen.

Der Schweizerische Gehörlosenbund schreibt: «Kein technisches Hilfsmittel kann eine Hörbehinderung ausgleichen oder gar aufheben nach heutigem Stand der Technik. Gehörlosigkeit ist überall verbreitet und hat nichts mit Herkunft, Geschlecht etc. zu tun. Da aber auch genetische Faktoren eine Gehörlosigkeit verursachen können, ist die Wahrscheinlichkeit bei gehörlosen Eltern leicht erhöht, dass ihr Kind ebenfalls gehörlos ist.»

 

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2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Bhend Ruedi jun. am 28. Januar 2017 um 21:14

    schöne Geschichte von Hilfiker und Herr Wyder ich, ich selber bin auch Gehörlosen bin und ich arbeite selber als Beschriftungen, früher als Maurer gelernt mit Diplom abgeschlossen freue mich das für Hilfiker weiterhin viel Erfolg im Beruf Wyder und auch als Privat. wünsche euch schöne Wochenende und bis anders mal Mit freundlichen Grüssen Bhend Ruedi jun.



  2. Veröffentlicht von Liechti-Petersen Therese am 15. März 2017 um 17:48

    Toll dieses Interview mit Christian Hilfiker! Bestimmt hilfreich und ermutigend für junge Gehörlose auf der Suche nach ihrem Beruf: Es ist leicht ersichtlich: Gartenbau Wyder ist rundum ein verständnisvoller Arbeitgeber, Kollegen und Vorgesetzte verhalten sich rücksichtvoll und im besten Sinne kollegial – vorbildlich, und zweifellos auf den Geschäftserfolg abfärbend. Weiterhin viel Erfolg und Schaffensfreude wünscht
    Therese Liechti