Der Tod und das Mädchen

Darf man Mariella Farré, eine reife Frau, als Mädchen bezeichnen? Ist das nicht despektierlich? – Nein, ist es nicht, wenn wie hier eine jugendliche Ausstrahlung gemeint ist , ein direktes, unverstelltes Wesen und eine ungebrochene Lebensfreude. – Doch was hat es mit dem Tod auf sich?

Strahlend betritt Mariella das Café; mit leichten, beinahe schwebenden Schritten nähert sie sich dem Tischchen. Auch jetzt, im Alter von mehr als 50 Jahren, hat sie noch eine tadellose Figur. Das allein ist es jedoch nicht, was die Attraktion dieser Frau ausmacht. Es ist vielmehr ihre Ausstrahlung, die unmittelbar spürbar ist und die sich nicht so leicht erklären lässt, ihr offener Blick, der eine Gradlinigkeit des Charakters verspricht, auch ein lebhaftes Interesse am Vis-à-vis. Da ist gar nichts von der ermüdenden Ich-Bezogenheit, der Selbstverliebtheit eines Stars, seien er nun aktuell en vogue oder aus früheren Jahren.

Das Interesse am Menschen
Mariella setzt sich und erkundigt sich wie selbstverständlich zuerst nach dem Wohlbefinden ihres Gegenübers. Nicht einfach aus Höflichkeit, sondern aus spürbarem Interesse. Verkehrte Welt: Da sitzt eine Frau, die zwei Mal die Schweiz am Grand Prix Eurovision de la Chanson mit beachtlichem Erfolg vertreten hat, die x Mal am Fernsehen auftrat, die in unzähligen Ländern der Welt auf grossen Bühnen das Publikum mit Gesang, Tanz und Entertainment begeisterte; da sitzt die Leiterin von zwei aargauischen Tanzschulen, eine Frau, die schon eine ganze Reihe von abendfüllenden Shows in Szene gesetzt hat und damit nicht nur das Publikum mitgerissen, sondern Hunderten von Laientänzerinnen und -tänzern zu einem bleibenden Erfolgserlebnis verholfen hat; da sitzt eine reife Frau, die doch so direkt, so lebhaft, so unverstellt wirkt wie ein junges Mädchen.

Mariella Farré ist zum Interview gekommen und beginnt das Gespräch mit der Frage: «Wie geht es Dir?»! Ein freundlich-forschender Blick verrät, dass es sich nicht um eine einleitende Floskel handelt, sondern um das Interesse am Mitmenschen. Sie kommentiert und fragt nach. Dann bestellt sie ein Getränk, rückt den Stuhl zurecht und ist nun bereit, Fragen zu beantworten.

Angst und Melancholie gegen Lebensfreude und Optimismus
Oberflächliches kommt nicht zur Sprache. Mariella erzählt von Krankheiten, mit denen sich Menschen aus ihrer nächsten Umgebung herumplagen. Ängste und melancholische Stimmungen, denen sie mit der ihr gegebenen Heiterkeit und dem Glauben ans Gute im Menschen begegnet. Und da liegt ein Thema schon fast auf der Hand, das sie in dieser Zeit permanent beschäftigt, und dem sie in den kommenden Monaten ihr künstlerisches Schaffen widmen will: Es ist der letzte Lebensabschnitt, das Sterben, der Tod.

Merkwürdig! Ein Mensch mit einer unerhörten Lebhaftigkeit und Lebensfreude widmet sich diesen letzten Dingen des Daseins. Es ist gleichsam das volle Leben, das die Gedanken an die Endlichkeit eben dieses Lebens keineswegs ausklammert, sondern thematisiert und sich ihnen und den vielleicht gar nicht so leicht zu akzeptierenden Realitäten stellt: Mariella Farré inszeniert unter dem Titel «Tanz das Leben!» eine Benefiz-Show zu Gunsten des Vereins Hospiz Aargau. Hospiz Aargau setzt sich rund um die Uhr fürsorglich für Menschen am Ende ihres Lebens ein. Mit Heiterkeit dem Unausweichlichen die Stirn bieten und die schönen Seiten des Lebens auch dann ins Bewusstsein rücken, wenn das Ziel nahe ist. Lamentieren ist Mariellas Sache nicht, auch nicht verzweifeltes Händeringen, sondern vielmehr eine «Jetzt-erst-recht-Haltung». Mitreissend. Bewundernswert.