Wenn ein Sound die Welt erobert

Inmitten eines um Einheit ringenden Europas gibt es ein kleines Land, das sich seine Eigen- und Selbständigkeit auf jeden Fall erhalten will – mit Innovation und Präzision, wie eh und je. Ganz schön frech. Aber es funktioniert.

Auf dem Weg von der Produktionshalle kommt Claude Werder an Raphael Vögtlis Bürotisch vorbei. «Hallo Claude, hast du kurz Zeit? Ich hab da was für dich.» Es ist schon spät und eigentlich ist er auf dem Weg nach Hause, aber das hier scheint dringend. «Zwei Jungunternehmer wollen Aluminiumrahmen für eine neuartige Elektro-Gitarre bei uns produzieren.» «Okaaay», mehr fällt Claude im ersten Moment nicht ein. Als Feinwerktechniker bekommt er oft Anfragen fürs Drehen und Fräsen anspruchsvoller Werkteile. Aber Aluminiumrahmen für Gitarren? Das ist schon eher ungewöhnlich.

«Zeig mal her.» Die 2D-Zeichnungen auf Raphaels Schreibtisch haben sein Interesse geweckt. Drei Prototypen und danach eine erste Serie von 100 Stück? Ambitiös für ein Start-up, zugegeben. Aber auch weitsichtig, von Anfang an Experten miteinzubeziehen. Wie ist dieser Pirmin Giger überhaupt auf uns gekommen? –Er scrollte etwas zurück, bis er die Stelle gefunden hatte. Aha, da steht es: «… beim Recherchieren im Internet auf Ihre Firma aufmerksam geworden.»

«Du willst meine Meinung?», fragte Claude, nachdem er die ganze Nachricht gelesen und die Skizzen studiert hat. «Die Eckradien sind zu klein. Die Konturen mit einem solch kleinen Fräser abzufahren ist zeitaufwendig. Ausserdem gibt es keine Aluplatten in der Höhe von 21,5 Millimetern im Handel.» Raphael nickt bedächtig und ist mit seinen Gedanken weit voraus; einmal aufspannen, fräsen und fertig. Ein Handgriff sonst wird die Produktion zu teuer. Das bedingt eine 20 Millimeter Standardplatte. «Lass uns einen Termin vereinbaren und gemeinsam diskutieren, wie wir Klangbild, Gewicht und Machbarkeit auf einen Nenner bringen. Einverstanden, Claude?»

Nachdem Claude und Raphael nun alle Fakten kennen, sind sie vom Erfolg der E-Gitarre überzeugt. Über mehrere Stunden sind sie mit den beiden Pionieren, Pirmin Giger und Silvan Küng, am runden Tisch gesessen, haben über Hightech, Businesspläne und Finanzen diskutiert und darüber, was die revolutionäre «Jane» alles kann.

So baut die gesamte Konstruktion auf einem 20 Millimeter dicken Aluminiumrahmen auf, über den sich elegant Decke und Boden aus starkem Walnuss-Holz wölben. Die Schwingungsübertragung konzentriert sich auf den Hals, die Mittelstrebe des Alurahmens und den Steg. «Hier zeigt sich das völlig andere Konzept», hat Pirmin begeistert erklärt. Boden und Decke der Sandwich-Konstruktion sind nichts weiter als Design. Akustisch sind sie nicht relevant, und die verschiedenen Holzarten, in denen die Gitarre angeboten wird, schon gar nicht.

Die Begeisterung der beiden mit dem durchsetzungsfähigen Sound der Gitarre zu vergleichen, ist vielleicht etwas weit hergeholt. Mag sein, denkt Claude auf dem Weg zurück in die Firma. Aber eine Gitarre zu bauen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat: Grossartig! Ob die konservativen Gitarristen für dieses innovative Schweizer Hightechmodell ihre Herzen öffnen? Wer als Start-up Erfolg haben will, muss seine Ziele hochstecken, da hat der Marketing-Fachmann Silvan schon recht. Auch die Finanzierung ist gut durchdacht. Es macht Sinn, bei einem kleinen Startkapital von 20’000 Franken, die drei Prototypen über Crowdfunding zu finanzieren. Das unterstütze ich mit!

In dieser Hochleistungsmaschine werden die Aluminiumrahmen gefräst. Links unten steht das Rohmaterial bereit (Fotos: Silvano D. Matteis)
Die Aluminiumplatten werden auf die Vorrichtung der Fräsmaschine gespannt
Für die Hochleistungsfräsmaschine braucht es Kühlschmiermittel, um die Temperatur der Werkzeuge zu kühlen und die Späne abzuführen
Der Operateur überwacht den Fertigungsprozess
Der fertige Aluminiumrahmen ist auf der Vorrichtung aufgespannt
Demontage des fertigen Rahmens von der Vorrichtung
Die Aluminiumspäne werden getrocknet und nach Vorschrift recyclet
Claude Werder (links) misst die Breite der Tasche nach …
… auch die Rahmendicke wird nachkontrolliert
Ein Laser graviert das Logo präzise in die Aluminiumplatten
Jeder Aluminiumrahmen ist mit einer Seriennumer versehen
Seit 2013 haben rund 300 Aluminiumrahmen für das Modell «Jane» die Werkhallen von Werder verlassen

«An dieser Chiron-Maschine werden wir die Prototypen fräsen. Und auch die restlichen 100 Stück. Alle auf einmal!» Der Lärm im Maschinenraum ist so gross, dass Raphael beinahe schreien muss, als er die Produktionsschritte dem Polymechaniker erklärt. Der Rahmenvertrag ist gut durchdacht. Silvan hat zugesagt, sämtliche Aluminiumrahmen bei Werder Feinwerktechnik zu produzieren. Im Gegenzug bezahlen sie nur die Anzahl Stücke, die sie unmittelbar bestellen. Mut muss sein und ein kluges Miteinander – so funktioniert das mit Pionieren und Dienstleistern, mit Designern und Feinwerktechnikern.

Das war 2012. Seither rollt Relish Guitars das gesamte internationale Feld von hinten auf. Waren es 2014 erst 100 Aluminiumrahmen, sind es 2017 bereits über 500 Stück, die das Werk in Veltheim verlassen haben. Und wenn die Rechnung von Relish Guitars aufgeht, ja, dann sind es im Jahr 2023 stolze 4`000 Instrumente!

Wenn Herzblut und Engagement den Ton angeben, ist Vertrauen gefragt. Vertrauen wiederum, ist reines Bauchgefühl. Und genau aus diesem Gefühl heraus, entstehen starke Partnerschaften.

1 Kommentar

  1. Veröffentlicht von Fabio Rota am 22. März 2018 um 8:20

    Gratulation

    Tolle Geschichte

    Der nächste Schritt wäre den Rahmen als Gussteil zu fertigen 🙂

    Gruss
    Fabio Rota